
Der "Zug der Erinnerung" in Darmstadt
Ca 5000 Menschen haben den Zug besucht, ungefähr 100 Schulklassen wurden durch die Ausstellung geführt....
Dank an die Ulmer Eisenbahnfreunde, Matusch, Markus, Bosch, Jan, Eike, Thomas und Hans und allen, die mitgeholfen haben - wir danken Euch von Herzen, Renate und Peter
Lächeln und Leid, das erschüttert |
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![]() BERÜHRENDE BILDER: Sakine Gelgec betrachtet die Ausstellung im Zug der Erinnerung. Der Kontrast der fröhlichen Kindergesichter neben den Dokumenten des Schreckens stimmte die Schülerin nachdenklich. Nur noch am Dienstag (13.) können Besucher am Hauptbahnhof die Spuren deportierter Kinder und Jugendlicher nachvollziehen. (Foto: Roman Größer)
Große Kinderaugen, süße Pausbäckchen, ein sanftes Lächeln: Wie eine Puppe sieht die kleine Jacqueline auf dem Foto in der Ausstellung aus. Die Aufnahme ist schwarz-weiß, vor langer Zeit gemacht. Heute wäre das Mädchen eine Oma, 75 Jahre alt. Doch hinter dem süßen Bild steht eine Tragödie. Jacqueline wurde umgebracht, nach qualvoller Gefangenschaft töteten die Nationalsozialisten das Mädchen kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs 1945. Jacquelines Schicksal ist nur eines von vielen, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Deshalb fährt der „Zug der Erinnerung“ durchs Land. In den Waggons gelangt so eine Ausstellung über die Deportationen von Kindern in die Bahnhöfe der Bundesrepublik. Jacqueline Morgenstern ist eines von 12 089 Kindern und Jugendlichen, deren Spuren durch den Zug transportiert werden sollen. Seit Freitag steht die von einer Dampflok gezogene Ausstellung in Darmstadt. Hier betreut Renate Dreesen, sehr aktiv für die Intitiative Denkzeichen Güterbahnhof, die Gedenkstätte zum Thema Judenverfolgung. Die engagierte Pfungstädterin freut sich über den starken Zuspruch: „Am Sonntag waren etwa 1000 Besucher da“, schätzt sie. Am Montag seien allein bis zum Nachmittag 50 Schulklassen im Zug gewesen. „Das habe ich nicht erwartet“, sagt sie und freut sich über die positive Resonanz. Eine der Schulklassen ist aus Rüsselsheim gekommen. Melanie Kempek, Natalia Podkowinski und Julia Becker aus der zwölften Klasse der Immanuel-Kant-Schule stehen vor einer Bilderwand im vorderen Teil des Waggons. Andere Kinderaugen, weitere lächelnde Gesichter auf historischen Passfotos. In Worten steht daneben, was die siebzehn und neunzehn Jahre alten Schülerinnen erschaudern lässt. Die Kinder, meist Juden, Sinti und Roma, wurden abgeholt, mit dem Zug deportiert, teils zu medizinischen Versuchen missbraucht, umgebracht. „Ich bin geschockt“, sagt Natalia. „Wie klein die waren. Wie kann man so ein kleines Kind ermorden?“ Auch für Julia ist das Schicksal der Ermordeten mehr als Stoff aus dem Geschichtsunterricht: „Wenn ich mir das vorstelle . . . ich hab eine kleine Schwester, die ist auch erst acht.“ Diese Ausstellung sei schon ein Unterschied zu dem, was man als Schüler aus einem Buch erfahre, findet Natalia. „Im Schulbuch ist das eher politisch erklärt. Hier erfährt man die Lebensgeschichte der Leute.“ Das ist der Zugang, von dem Renate Dreesen weiß, dass er tief berührt: „Man kann sich dem nur annähern durch Einzelschicksale. Da schüttelt’s einen, das lässt einen nicht mehr los.“ Auf Spurensuche können und sollen die Besucher im Zug der Erinnerung gehen. Das Projekt deutscher Bürgerinitiativen will Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben, das damalige Deutsche Reich, den Terror der Nationalsozialisten, das unvorstellbare Leid und die Gleichgültigkeit der Täter anhand der Geschichten von Menschen ihres Alters nachzuvollziehen. Eine Auswahlbibliothek gibt Informationen, parallel steht eine Datenbank für Recherche zur Verfügung. Wer wurde aus meinem Heimatort deportiert? Gibt es einen ermordeten Jugendlichen, der am gleichen Tag Geburtstag hat wie ich? Ja, Treffer in der Datenbank. Die Dimension des Leids wird durch persönliche Details begreifbar. Am Ende der Ausstellung steht eine Besucherin und beobachtet die Jugendlichen, die an ihr vorbei gen Ausgang gehen. Eine ältere Dame. Heute. Während des Krieges war sie ein Kind, Jahrgang 40 – Jüdin. Auch von ihr könnte ein Foto in der Ausstellung hängen. „Ich bin eine Überlebende“, sagt sie leise. Die zur Ausstellung gehörenden Tondokumente, die immer wieder gespielt werden, übertönen sie leicht. Auf dem Land hätte sich die Familie versteckt. Warum, das habe sie natürlich nicht begriffen. „Ich habe nur gemerkt, dass wir zum Beispiel nicht in den Bunker durften bei Bombenangriffen.“ Gegen Ende des Krieges habe ihre Mutter die Idee gehabt, sich unter einen Flüchtlingszug zu mischen und behauptet, die Papiere seien verloren gegangen. Vater, Mutter, Kind – die Kernfamilie überlebte. Doch die Großmutter sei schon früh deportiert worden, Verwandte seien ebenfalls umgekommen. Ihren Namen mag die Dame nicht sagen. „Wissen sie, ich habe da Bedenken.“ Denn auch nach 1945 sei es nicht vorbei gewesen. Selbst nach dem Krieg hätten manche Kinder nicht mit ihr spielen dürfen, weil sie Jüdin war. Bis heute fühle sie sich nicht sicher. „Dass ich überlebt habe, ist ein Wunder“, sagt sie mit Blick in Richtung der dokumentierten Schicksale deportierter Kinder. „Die Ausstellung berührt mich sehr. Und ich fühle noch immer so viel Wut, dass viele Täter einfach ungestraft weitergelebt haben.“ Sicherlich gehe die Ausstellung auch anderen nahe. „Ich glaube, dass die Kinder und Jugendlichen schon nachdenklich werden“, sagt die zierliche Frau. „Deshalb ist es wichtig, dass die Kinder auf den Fotos lachen, die Kleidung nur ein wenig anders ist, aber die Kinder und Jugendlichen nicht viel anders aussehen als heute.“ So wie Jacqueline Morgenstern, die mit zwölf Jahren in die Kamera des Fotografen lächelte, bevor sie für medizinische Versuche missbraucht wurde und schließlich als eines von 20 Kindern erhängt wurde. „Ich hoffe, dass diese Schicksale den Schülern durch die Ausstellung nahe gebracht werden. Und dass sie ihre Großeltern mal fragen, wie das war, damals.“ Dann geht die Dame. „Es reicht für heute“, sagt sie. Natalia und Julia stehen nach der Ausstellung nachdenklich am Bahnsteig. Sie wollen das machen, sagen sie. Ihre Großeltern noch mal fragen, wie das war. Damals.
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Petra Lochmann Darmstädter Echo 12.11.2007 |
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Vom Empfang des "Zugs der Erinnerung" in Darmstadt finden Sie unter www.4k4.net/video/ZdE/ZudE_2.wmv ein 9-minütiges Video
Zur
bundesweiten Eröffnung in Frankfurt:
http://www.4k4.net/video/renate/ZudE_1.wmv
