„Darmstadt spielte
eine traurige Schlüsselrolle" Geschichte: OB erinnert an die Deportation von Juden an der Gedenkstätte Güterbahnhof |
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„Wir
brauchen Orte der Erinnerung, denn ohne Erinnerung gibt es keine Zukunft."
Oberbürgermeister Walter Hoffmann appellierte am Sonntag bei der
Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Deportation von Juden und Sinti in
die nationalsozialistischen Vernichtungslager in den Jahren 1942 und 1943,
diese Ereignisse als Teil der Darmstädter Stadtgeschichte zu begreifen.
„Darmstadt war Dreh- und Angelpunkt der Deportation von Juden und Sinti aus
dem damaligen Volksstaat Hessen." Heute jedoch lebten in Darmstadt Menschen
vieler verschiedener Nationen friedlich miteinander.
Hoffmann verwies zugleich darauf, dass diese „traurige Schlüsselrolle Darmstadts" in der Mordmaschinerie der Nationalsozialisten durch zahlreiche Mittäter ermöglicht wurde – vom Eisenbahner über den Beamten bis hin zu Polizisten. Das Unrecht und die menschenverachtende Behandlung der mehr als 3400 Deportierten sei zudem für alle Darmstädter sichtbar gewesen: Vom in der Justus-Liebig-Schule eingerichteten Durchgangslager sind die Juden und Sinti vor den Augen der Bevölkerung zum Abtransport an den Güterbahnhof getrieben worden. Theresienstadt, Buchenwald, Auschwitz hießen die Zielorte, die die Mehrzahl der Deportierten nicht mehr lebend verlassen sollte. Dass der vor zwei Jahren zur Erinnerung an die Opfer der Deportationen aufgestellte Glaskubus an der Ecke Kirschenallee/Bismarckstraße im Juli beschädigt worden ist, nahm Renate Dreesen von der „Initiative Gedenkort Güterbahnhof Darmstadt" zum Anlass, um auf den starken Bezug dieses Ortes zur Gegenwart hinzuweisen. „Durch den Akt der Zerstörung hat dieser Ort des Gedenkens eine aktuelle Dimension erhalten", sagte sie und rechtfertigte zugleich die zusammen mit den Künstlern Ritula Fränkel und Nicholas Morris getroffene Entscheidung, den Glaskubus in seiner beschädigten Form zu belassen: „Die gegenwärtige Dimension der Gewalt sollte nicht ignoriert werden." Zugleich wies sie auf die zur Hoffnung Anlass gebende Symbolik hin: „Der Kubus hat brutaler Gewalt getrotzt und die im seinen Innern aufbewahrten Namen der Opfer bewahrt." Plastisch vor Augen geführt wurde das Leid der Deportierten von Schülern der Heinrich-Emanuel-Merck-Schule; sie lasen aus Erinnerungen von Überlebenden. Irith Gabriely und Sophie Zieschang bildeten mit ihren Klarinetten den musikalischen Rahmen. Renate Knigge-Tesche von der Landeszentrale für politische Bildung erinnerte an den aus Fränkisch-Crumbach stammenden Gustav Oppenheimer, der 1942 im Konzentrationslager Dachau ermordet wurde. Sichtlich bewegt von der Lebens- und Leidensgeschichte ihres Onkels bedankte sich dessen Nichte Ruth David persönlich dafür, dass die Erinnerung an diesen „braven, gescheiten und mutigen Mann" wach gehalten wird. |
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kaw |
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Darmstädter Echo |
Gedenken am Güterbahnhof
Hoffmann erinnert an Darmstadts Rolle in der NS-Zeit
Erstmals nach der Beschädigung des Denkzeichens am Güterbahnhof im Juni, fand dort wieder eine Gedenkstunde für die während der Nazidiktatur aus Darmstadt verschleppten Juden, Roma und Sinti statt.
Darmstadt - Zum Tag des jüdischen Neujahrsfestes (Rosch ha Schana) blies die
Künstlerin Irith Gabriely am Sonntag neben dem "Denkzeichen Güterbahnhof" die
Schofar (Widderhorn). Ganz im Gegensatz zum christlichen Neujahr ist Rosch ha
Schana ein ernstes Fest - über den Menschen wird das Urteil wegen seiner Taten
im vergangenen Jahr gesprochen.
Urteil und Mahnung waren denn auch der Kern der Rede von Oberbürgermeister
Walter Hoffmann (SPD) vor den rund 60 Gästen. Hoffmann: "Darmstadt - das darf
nie vergessen werden - war vor mehr als 60 Jahren Dreh- und Angelpunkt der
Nazi-Deportationen in die Todeslager des Ostens. Die Verfolgung und Ermordung
der Juden und Sinti sind Teil unserer Darmstädter Stadtgeschichte." Vor diesem
Hintergrund erntete Hoffmann starken Beifall für ein eindeutiges Bekenntnis:
"Wir werden es auf keinen Fall dulden, dass die immer offensiver und militanter
auftretende NPD hier in Südhessen ihr Unwesen treibt. Die ständigen Schändungen
und Verwüstungen des jüdischen Friedhofes in Alsbach sind ein Skandal." Hoffmann
zeigte deswegen Verständnis, dass das im Juni von Unbekannten beschädigte
Denkzeichen als aktuelle Mahnung vorerst nicht repariert werden soll. mw
Frankfurter Rundschau 25.9.2006