Randalierer zerstören Gedenkstätte

Spur der Verwüstung bis zum Bahnhof / Mehr als 100 000 Euro Sachschaden / Polizei nimmt vier Jugendliche fest

Die Gedenkstätte für die Deportierten am Güterbahnhof ist in der Nacht zum Montag schwer beschädigt worden. Die Randalierer zertrümmerten zudem Kiosk- und Auto- scheiben sowie die neuen Leucht-Halte- stellen vor dem Hauptbahnhof. Die Polizei nahm vier Jugendliche fest.

Darmstadt - Den Mitgliedern der Initiative Denkzeichen am Güterbahnhof bot sich am Morgen ein Bild des Schreckens. Der große Glaskubus mit den Namen der von Darmstadt aus deportierten Juden, Sinti und Roma steht erst seit November 2004 auf dem Platz vor dem Güterbahnhof. Drei der vier Seitenscheiben sind seit der Nacht fast vollständig zertrümmert. Die Initiative, die das Mahnmal finanziert hat, geht von einem "Totalschaden" aus. 50 000 Euro hatten die Ehrenamtlichen für das Denkzeichen bei Privatleuten, Parteien, bei der Stadt und Institutionen mühsam gesammelt.

Zwei Jahre Spenden gesammelt


Renate Dreesen, Sprecherin der Initiative, ist fassungslos: "Vier Jahre haben wir für dieses Mahnmahl gekämpft, über zwei Jahre Spenden gesammelt, und mit ein paar Fäustel-Schlägen ist alles kaputt." Das dicke Panzerglas ist mit Rissen durchzogen. "Der Schaden ist immens", sagt Dreesen. Sie schätzt, dass der gesamte Kubus ausgetauscht werden muss, weil Innen- und Außenscheiben miteinander verklebt sind. Versichert war das Mahnmal nicht. Bei Zerstörungswut wäre die Assekuranz ohnehin nicht aufgekommen, sagt sie. Die Initiative hat Strafanzeige gestellt, hofft zumindest auf Schadenersatz. "Ich fürchte aber, wir müssen wieder Spenden sammeln."

Polizeisprecher Karl Kärchner spricht von "einer Spur der Verwüstung". Noch in der Nacht habe die Polizei aufgrund von Anrufen und Zeugenaussagen vier Jugendliche zwischen 16 und 19 Jahren festgenommen. Die drei Deutschen und ein Kroate stammen aus Frankfurt und Hofheim. Ihnen wird vorgeworfen, gegen 3 Uhr am Montag in der Berliner Allee, Rheinstraße und am Hauptbahnhof mehrere Autos, Schaufensterscheiben, einen Kiosk und Bushaltestellen beschädigt zu haben. Im Bahnhof gingen ebenfalls Schaufenster zu Bruch. Die Polizei schätzt den Sachschaden auf mehr als 100 000 Euro.

Teilweise zerstört wurden auch die Scheiben der gerade erst installierten farbig leuchtenden Haltestellen vor dem Bahnhof. Die Stadt erfuhr davon erst durch die FR. Stadtsprecherin Lisette Nichtweiss: "Das ist schlimm. Da kommen hohe Kosten auf die Stadt zu. Wir haben Strafanzeige gestellt, auch für die Gedenkstätte." Oberbürgermeister Walter Hoffmann verurteilt "das sinnlose Randalieren". Er hat der Initiative Denkzeichen Unterstützung zugesagt.

Die Jugendlichen sind unterdessen wieder auf freiem Fuß, sie bestreiten die Tat. Die Polizei schließt einen politischen Hintergrund aus. Nach Angaben der Beamten hatten die alkoholisierten Jugendlichen in der Main-Arena Frankfurt das WM-Spiel verfolgt und später in Darmstadt eine Disko besuchen wollen. Sie stehen weiter im Fokus der Ermittlungen, so Kärchner. Der Polizei sind drei der vier Jugendlichen gut bekannt: Einem der 16-Jährigen werden schon 61 Straftaten vorgeworfen, zumeist Sachbeschädigung, Körperverletzung und Eigentumsdelikte. Astrid Ludwig
Die Polizei bittet Zeugen um Hinweise unter Tel. 0 61 51 / 9 69 30 30.

 

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Das „Denkzeichen" ist zerstört
Kriminalität: Angriff auf Mahnmal gegen Deportationen – Randalierende Jugendliche richten schwere Schäden an

Die Polizei hat in der Nacht zum Montag gegen 3.30 Uhr im Hauptbahnhof vier junge Männer vorläufig festgenommen, die im Umfeld des Hauptbahnhofs vermutlich mit einem aus einem Bus oder einer Straßenbahn entwendeten Nothammer eine Schneise der Verwüstung hinterlassen und dabei einen Schaden von mindestens 150 000 Euro angerichtet haben, wie Polizeisprecher Karl Kärchner mitteilt.

Die Sechzehn- bis Neunzehnjährigen aus Frankfurt und Hofheim/Taunus haben nach Kärchners Angaben nicht nur das „Denkzeichen Güterbahnhof", Mahnmal für die vom Nazi-Regime aus Darmstadt in die Vernichtungslager deportierten Juden und Sinti, zerstört. Demoliert wurden auch die Straßenbahnhaltestellen Rheinstraße/Berliner Allee und Hauptbahnhof und die Schaufensterscheiben von zwei Geschäften an der Rheinstraße und im Bahnhof und drei geparkte Autos auf der Rheinstraße. Ein politischer Hintergrund werde nach bisherigem Ermittlungsstand deshalb ausgeschlossen, sagt Kärchner.

Das Quartett wurde nach Hinweisen von Passanten im Hauptbahnhof gefasst. Die Jugendlichen bestritten, für die Taten verantwortlich zu sein, machten teilweise jedoch widersprüchliche Angaben. Der von der Polizei als Haupttäter eingeschätzte Sechzehnjährige räumte ein, die beschädigte Scheibe an einer Straßenbahnhaltestelle vollends eingedrückt zu haben – woher auch seine blutigen Hände stammten. Kärchner: „Dieser Variante schenkten die Ermittler wenig Glauben."

Die Jugendlichen und Heranwachsenden waren allesamt alkoholisiert. Angeblich waren sie nach dem Besuch der Main-Arena in Frankfurt nach Darmstadt gefahren, um in die Disko zu gehen. Die Diskothek hatte jedoch geschlossen. Deswegen wollten sie mit dem Zug nach Hause fahren.

Drei der vier Jugendlichen sind wegen diverser Delikte von Sachbeschädigung über sexuellem Missbrauch bis Körperverletzung und Drogengeschäften polizeilich bekannt. Der mutmaßliche Haupttäter, 16 Jahre alt, ist 61 mal strafrechtlich in Erscheinung getreten. Das Quartett wurde inzwischen aus dem Gewahrsam entlassen, bleibt aber, wie Kärchner sagt, „im Fokus der Ermittlungen". Zeugen, die sich noch nicht gemeldet haben, können dies unter Telefon 06151 969-3030 beim Präsidium tun.

Oberbürgermeister Walter Hoffmann missbilligte die Zerstörung der Gedenkstätte und kündigte an, die Stadt werde mit der Initiative Denkzeichen gemeinsam überlegen, „wir wir die erheblichen Schäden beseitigen können." Allerdings müsse das Objekt zunächst in Augenschein genommen werden.

bif
11.7.2006