„Auch heute schauen viele weg“
Gedenken: Bei der Erinnerung an tausende deportierte Juden und Sinti fällt der mahnende Blick auch auf die Gegenwart

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Fabrizio Stabilito hat sich neulich auf Spurensuche in Eberstadt begeben und alte Menschen auf die Zeit des Nationalsozialismus angesprochen. Doch Antworten hat er wenige bekommen. „Die meisten wollten zu diesem Themanichts sagen“, berichtete der Achtzehnjährige, der das bedauerte. „Wir sind die letzte Generation, die mit Zeitzeugen direkt reden kann.“ Und gerade solche Informationen aus erster Hand seien wertvoll und bewirkten mehr, als wenn man darüber aus Büchern liest.

Der Jugendliche sprach gestern als einer von mehreren Heinrich-Emanuel-Merck-Schülern am Güterbahnhof bei der Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die in den Jahren 1942 und 1943 aus Darmstadt deportierten Juden und Sinti.

Und er war nicht der einzige, der bei der Auseinandersetzung mit diesem düsteren Kapitel der Vergangenheit auch das Heute in den Blick rückte. „Meiner Meinung nach sind alle schuld, die nichts unternommen haben“, befand die 16 Jahre alte Kerstin Sauer. „Und auch heute schauen viele weg bei Gewalthandlungen auf der Straße.“

Aus der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft lernen ist das Ansinnen der Veranstaltung, zu der die „Initiative Gedenkort Güterbahnhof Darmstadt“ zum zehnten Mal geladen hatte. „Indem wir uns erinnern, stellen wir uns den Versuchen der Verdrängung entgegen“, betonte Renate Dreesen von der Initiative.

Auch deswegen habe man sich bewusst entschieden, das voriges Jahr von randalierenden Jugendlichen beschädigte Denkzeichen am Güterbahnhof nicht reparieren zu lassen. Man müsse auch diesen gewalttätigen Umgang mit Geschichte zeigen. „Es geht nicht nur um Geschehnisse vor langer Zeit, sondern auch um Übergriffe in den letzten Jahren“, gab auch Iris Bachmann von den Grünen zu bedenken, die für den Magistrat sprach.

Viele seien an der Deportation tausender Menschen vom Güterbahnhof in die Vernichtungslager beteiligt gewesen oder hätten dabei zugesehen. „Jeder von uns muss darauf achten, dass so etwas nicht noch einmal vorkommt“, mahnte sie und begrüßte hier die Beteiligung an dem bundesweiten Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie“, für das Darmstadt als eine von insgesamt drei hessischen Kommunen den Zuschlag bekommen hat.

Die für drei Jahre bewilligten 300 000 Euro sollen auch in Erinnerungsarbeit fließen. Wie Renate Dreesen betonte, besteht bei einem Kapitel ganz besonderer Nachholbedarf: „12 089 Kinder und Jugendliche wurden in NS-Lagern ermordet.“ Doch ihr Leidensweg sei weitgehend unerforscht und jahrzehntelang verschwiegen worden. Ihr Schicksal in den Blick rücken soll das ebenfalls aus diesen Bundesmitteln finanzierte Projekt „Zug der Erinnerung“ – eine mobile Ausstellung, die in Bahn-Waggons durch Deutschland tourt.

Laut Dreesens Ankündigung soll der Zug am 11. oder 12. November in Darmstadt Haltmachen – nicht weit von dem Ort, von dem aus vor mehr als sechzig Jahren auch Darmstädter Kinder und Jugendliche in den Tod geschickt wurden.

Informationen über das Projekt „Zug der Erinnerung“ und seine Stationen finden sich auf der Internetseite: www.zug-der-erinnerung.eu.

DE                                                      Alexandra Welsch      1.10.2007

 
 

„Auch heute schauen viele weg“
Gedenken: Bei der Erinnerung an tausende deportierte Juden und Sinti fällt der mahnende Blick auch auf die Gegenwart

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Fabrizio Stabilito hat sich neulich auf Spurensuche in Eberstadt begeben und alte Menschen auf die Zeit des Nationalsozialismus angesprochen. Doch Antworten hat er wenige bekommen. „Die meisten wollten zu diesem Themanichts sagen“, berichtete der Achtzehnjährige, der das bedauerte. „Wir sind die letzte Generation, die mit Zeitzeugen direkt reden kann.“ Und gerade solche Informationen aus erster Hand seien wertvoll und bewirkten mehr, als wenn man darüber aus Büchern liest.

Der Jugendliche sprach gestern als einer von mehreren Heinrich-Emanuel-Merck-Schülern am Güterbahnhof bei der Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die in den Jahren 1942 und 1943 aus Darmstadt deportierten Juden und Sinti.

Und er war nicht der einzige, der bei der Auseinandersetzung mit diesem düsteren Kapitel der Vergangenheit auch das Heute in den Blick rückte. „Meiner Meinung nach sind alle schuld, die nichts unternommen haben“, befand die 16 Jahre alte Kerstin Sauer. „Und auch heute schauen viele weg bei Gewalthandlungen auf der Straße.“

Aus der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft lernen ist das Ansinnen der Veranstaltung, zu der die „Initiative Gedenkort Güterbahnhof Darmstadt“ zum zehnten Mal geladen hatte. „Indem wir uns erinnern, stellen wir uns den Versuchen der Verdrängung entgegen“, betonte Renate Dreesen von der Initiative.

Auch deswegen habe man sich bewusst entschieden, das voriges Jahr von randalierenden Jugendlichen beschädigte Denkzeichen am Güterbahnhof nicht reparieren zu lassen. Man müsse auch diesen gewalttätigen Umgang mit Geschichte zeigen. „Es geht nicht nur um Geschehnisse vor langer Zeit, sondern auch um Übergriffe in den letzten Jahren“, gab auch Iris Bachmann von den Grünen zu bedenken, die für den Magistrat sprach.

Viele seien an der Deportation tausender Menschen vom Güterbahnhof in die Vernichtungslager beteiligt gewesen oder hätten dabei zugesehen. „Jeder von uns muss darauf achten, dass so etwas nicht noch einmal vorkommt“, mahnte sie und begrüßte hier die Beteiligung an dem bundesweiten Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie“, für das Darmstadt als eine von insgesamt drei hessischen Kommunen den Zuschlag bekommen hat.

Die für drei Jahre bewilligten 300 000 Euro sollen auch in Erinnerungsarbeit fließen. Wie Renate Dreesen betonte, besteht bei einem Kapitel ganz besonderer Nachholbedarf: „12 089 Kinder und Jugendliche wurden in NS-Lagern ermordet.“ Doch ihr Leidensweg sei weitgehend unerforscht und jahrzehntelang verschwiegen worden. Ihr Schicksal in den Blick rücken soll das ebenfalls aus diesen Bundesmitteln finanzierte Projekt „Zug der Erinnerung“ – eine mobile Ausstellung, die in Bahn-Waggons durch Deutschland tourt.

Laut Dreesens Ankündigung soll der Zug am 11. oder 12. November in Darmstadt Haltmachen – nicht weit von dem Ort, von dem aus vor mehr als sechzig Jahren auch Darmstädter Kinder und Jugendliche in den Tod geschickt wurden.

Informationen über das Projekt „Zug der Erinnerung“ und seine Stationen finden sich auf der Internetseite: www.zug-der-erinnerung.eu.

Darmstädter Echo                                                      Alexandra Welsch      1.10.2007