Von Tätern zu Opfern
Ausblick: Der Historiker Hannes Heer liest und diskutiert heute in Darmstadt
DARMSTADT. Deutschland ruckt nach rechts, glaubt Hannes Heer. Nicht nur der verharmlosende Umgang mit rechtsradikalen Überfällen in jüngster Zeit, sondern auch die über die Medien verbreiteten Halbwahrheiten in Sachen Geschichtsaufarbeitung seien Anlass, Alarm zu schlagen, sagt der Historiker und Publizist aus Hamburg im Gespräch mit dem ECHO. In seinem neuesten Buch „Hitler war’s. Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit", 2005 im Aufbau-Verlag erschienen, analysiert Heer mit enormer Recherche-Sorgfalt, wie es in Geschichtsschreibung und Film wieder Mode geworden ist, Hitler zum Alleinschuldigen der NS-Gräueltaten zu stempeln und die Deutschen aus ihrer Verantwortung zu entlassen.

Am Beispiel von Guido Knopps historischen Dokumentationen im ZDF mit Titeln wie „Hitlers Helfer" oder dem Kinofilm „Der Untergang" zeigt Heer, wie sich die Selbstwahrnehmung der Deutschen vom Täter- zum Opfervolk gewendet habe. „Ich plädiere nicht dafür, das Leben der Deutschen in eine Bußprozession zu verwandeln", lenkt der Historiker ein. Doch müsse man der Wahrheit immer wieder ins Auge schauen, „um für die eigene Verantwortung und die unseres Landes sensibilisiert zu werden." Indem differenzierte wissenschaftliche Erkenntnisse über den Nationalsozialismus ignoriert und von den führenden Medien Mythologisierung und Verfälschung von Geschichte verbreitet würden, behindere man jede Aufklärung.

Heute (Montag) wird Hannes Heer um 20 Uhr im Darmstädter Literaturhaus (Kasinostraße 3) Auszüge aus seinem Buch lesen und im Anschluss mit Architektur-Professor Werner Durth von der TU Darmstadt über die Tendenz der historischen Entlastung sprechen. Als Gesprächsgrundlage dienen Heers Nachforschungen über Hitlers Leib-Architekten und Rüstungsminister Albert Speer, der seit seiner Verteidigung in den Nürnberger Prozessen von 1945 bis 1949 als „Entlastungsfigur" der Deutschen gilt.

Werner Durth, der sich intensiv mit dem „Architekt des Todes" auseinandergesetzt hat, wird dessen NS-Karriere aus dem Blickwinkel des Architekten beleuchten. Hannes Heer, der bis 1999 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung die erste Wehrmachtsausstellung leitete, wirft in seinem Buch nicht nur einen kritischen Blick auf die Selbstrechtfertigungen Speers, die ihm im Nürnberger Prozess das Leben retteten und ihm in der Bundesrepublik eine zweite Karriere als Bestseller-Autor bescherten. Er widerlegt auch den Mythos um den von Hitler verführten unpolitischen Künstler-Techniker, den Joachim Fest 1999 in seiner Speer-Biografie zu zementieren bemüht war.

Dass Fest erst vor wenigen Tagen, den Henry-Nannen-Preis als Auszeichnung für sein journalistisches Lebenswerk und seine Verdienste um die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus überreicht bekam, ist für Hannes Heer ein Skandal – „nicht nur wegen dessen Verbreitung rechtsradikaler Thesen im so genannten Historikerstreit, sondern auch, weil er durch Verfälschung historisch unwiderlegbarer Fakten die Speer-Legende noch „verfestigt und verfeinert". Hannes Heer liest und diskutiert heute (Montag) um 20 Uhr im Darmstädter Literaturhaus (Kasinostraße 3).

 

Anja Trieschmann
29.5.2006

 
Darmstädter Echo